Kasperltheater – weit mehr als nur Unterhaltung

Vor Kurzem kam ich mit einem vierjährigen Jungen und seiner Mutter, einer Sozialpädagogin, ins Gespräch. Da stand das Thema Kasperltheater im Mittelpunkt, denn der Junge ist ein richtiger Kasperl-Fan, weil er es einfach „richtig lustig“ findet.

Das Kind, das ich interviewen durfte, hat eine sehr enge Bindung an den Kasperl. Als imaginärer Freund bereichert der Kasperl seinen Alltag. Solche imaginären Freundschaften sind in der kindlichen Entwicklung wertvoll, da sie Kreativität fördern und Kindern helfen, Erlebtes zu verarbeiten. Es ist daher wichtig, diese Begeisterung zu unterstützen und gleichzeitig darauf zu achten, dass die vermittelten Inhalte positive Werte enthalten. Doch worauf sollte man da achten?

Rollenbilder beim Kasperltheater

Die Mutter geht sehr gerne ins Kasperltheater, weil es ihrem Sohn so Spaß macht. Sie äußerte sich aber kritisch zu den traditionellen Rollenbildern, die in vielen Wiener Kasperltheatern vermittelt werden. „Gretel und die Prinzessin brauchen immer Hilfe, die Oma backt, während Kasperl, Pezi und der Polizist die Heldenrollen übernehmen.“

(c) CW

Kasperltheater hat eine lange Tradition und begeistert Kinder seit Generationen. Allerdings spiegeln manche klassische Stücke sehr stereotype Rollenbilder wieder: Männliche Figuren treten als mutige Helden auf, während weibliche Charaktere oft als hilflos oder auf häusliche Tätigkeiten beschränkt dargestellt werden. Diese einseitigen Darstellungen prägen das Rollenverständnis von Kindern und festigen traditionelle Geschlechterklischees.

Pädagogisch wertvolles Kaspertheater

Immer mehr Anbieter*innen bringen auch schon im Kasperltheater andere Themen den Kindern näher. Amnesty International bietet beispielsweise ein Kasperltheater an, das sich mit den Themen freie Meinungsäußerung und Diskriminierung auseinandersetzt. Ein pädagogisch wertvolles Kasperltheater zielt darauf ab, vielfältige Themen schon der jüngsten Zielgruppe näherzubringen.

(c) Barbara Mair

Um zu den klischeebehafteten Rollenbildern zurückzukommen: weibliche Charaktere sollen selbstverständlich auch im Kasperltheater eigenständig handeln und selbstständig Probleme lösen. Gleichzeitig können männliche Figuren in fürsorglichen oder kooperativen Rollen gezeigt werden. Durch solche ausgewogenen Darstellungen lernen Kinder, dass Fähigkeiten und Eigenschaften nicht an ein bestimmtes Geschlecht gebunden sind.

Der Umgang mit Konflikten im Kasperltheater

Unser junger Gast war besonders angetan von einem bestimmten Kaspertheater-Anbieter, den er schon öfters in Einkaufszentren oder bei Veranstaltungen gesehen hat. In diesen Stücken hat der Kasperl eine Pritsche – also einen Schlagstock – mit dem er das Krokodil oder die Hexe bestraft, wenn sie böse sind. Auf Nachfrage, warum er das Krokodil schlägt, meinte der Junge: „Weil der den Kasperl in den Popsch beißt“. Er glaubt nicht daran, dass es eine andere Möglichkeit gibt, das „Böse“ abzuwenden.

(c) Barbara Mair

Traditionell wird leider häufig Gewalt als Lösungsmethode von Konflikten darstellt. Das mag Lacher erzielen, ist aber nicht mehr zeitgemäß. Moderne pädagogische Ansätze plädieren ganz klar für gewaltfreie Konfliktlösungen. Der Kasperl könnte beispielsweise durch Dialog, List oder Zusammenarbeit mit anderen Figuren Probleme lösen und so den Kindern alternative Strategien im Umgang mit Herausforderungen aufzeigen.

Kasperltheater selbst gemacht

Vor Kurzem hat ein Kind spontan in der Kinderinfo ein kleines Theaterstück aufgeführt (Schnur, Tuch und Figuren waren selbst mitgebracht). Wir wussten davon nichts: anscheinend wurde es bei einem vorherigen Besuch von unserem roten Vorhang inspiriert. Auch wenn unser Raum eigentlich nicht dafür vorgesehen ist, hat es umso mehr gefreut, dass das Kind seiner Fantasie freien Lauf gelassen hat und eine eigene Geschichte erfunden hat.

Wenn Kinder Geschichten erfinden, nehmen sie aktiv an dem Inhalt teil und lernen Figuren zu gestalten. Sie denken darüber nach, wie ihre Charaktere Herausforderungen meistern und setzen sich mit ihren Gefühlen und Gedanken auseinander. Das stärkt auch ihr eigenes emotionales Verständnis. Vielleicht lernt der Kasperl in der selbst erfundenen Geschichte neue Wege kennen, wie er Probleme löst? Gerne auch ohne Pritsche!

Lust auf mehr?

CW; Titelbild (c) Barbara Mair, WIENXTRA

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