Immer mal wieder bekomme ich ein Mail vom Elternverein, bei dem sie auf der Suche nach Gasteltern sind. Wir haben schon eine kleine Erfahrung als Gastfamilie gesammelt, als meine Tochter bei einem Erasmus-Programm mitmachte. Zuerst war sie zwei Wochen in Norwegen und dann kam eine norwegische Schülerin zwei Wochen zu uns. Ich fand es spannend, einen jungen Menschen kennenzulernen und wir hatten viele feine und interessante Gespräche. Aber vor dem Gasteltern sein für einen längeren Zeitraum bin ich noch zurückgeschreckt. Aber warum eigentlich?
Wird es uns einschränken?
Einen Menschen bei sich zu Hause aufnehmen, den man noch nicht kennt, das ist schon so eine Sache. Einen jungen Menschen aufnehmen, der für eine längere Zeit fern der Heimat ist, vielleicht auch mit einer anderen Muttersprache, macht nachdenklich. Und das dann auch noch als Familie zu tun, wo man eh schon unterschiedliche Bedürfnisse in einem vollgestopften Alltag jonglieren muss…
Wie ist es euch damit gegangen, dass da ein fremder Mensch so eng mit euch zusammengewohnt?
Das war von Anfang an kein Problem. Wir haben P. einfach als weiteres Familienmitglied aufgenommen, aber auch sie war / ist unkompliziert. Sie hat sich sofort integriert, hat mitgeholfen, dass der Tisch gedeckt ist, den Geschirrspüler aus- / eingeräumt, …. Wir teilen uns die Bäder und wenn jemand die Türe schließt, dann braucht er / sie Privatsphäre, das akzeptiert jeder und muss eingehalten werden. Wichtig ist, dass man alles, was nicht passt, anspricht und das ohne Zögern.
Ständig unter Beobachtung zu sein zu Hause?
Wichtig ist, dass man alles, was nicht passt, anspricht und das ohne Zögern. Wir haben auch versucht, dass wir ihr einiges von Europa zeigen und sind viel gereist, dabei war sie immer mit unserer Tochter in einem Zimmer. Die beiden Mädels haben ein sehr gutes Verhältnis zueinander entwickelt und sind wie Schwestern, sie tauschen ihr Gedanken / ihre Kleidung / ihre Probleme / … miteinander aus und das tut beiden sehr gut. Aber auch unser Sohn sieht sie als „Schwester“. Somit ist P. kein „fremder Mensch“, sondern ein Familienmitglied und das eigentlich von Anfang an.
Ist das nicht schwierig mit so einem jungen Menschen in der Pubertät? Oder mit dem Heimweh?
Heimweh war eigentlich kaum ein Thema, ich habe nie den Kontakt mit ihren Freundinnen bzw. der Familie eingeschränkt, das ist ganz automatisch von Woche zu Woche weniger geworden. Mir war aber von Anfang an sehr wichtig, dass alle Kinder ihren eigenen Freundeskreis haben. So waren alle drei in verschiedenen Jahrgängen an der Schule (6. /7. /8. Klasse) und konnten alleine mit Freund_innen etwas unternehmen. Die Pubertät ist bei uns eigentlich kein Thema gewesen. Ich denke, dass das schon Großteiles hinter uns liegt.
Und wie kann das klappen, wenn man die Muttersprache nicht spricht und man nicht auf eine andere gemeinsame Sprache ausweichen kann?
P. kam quasi mit keinen Vorkenntnissen in Deutsch zu uns, aber es ging sehr schnell, dass sie Deutsch gelernt hat. Wir sprechen alle Englisch und unsere Kinder auch Spanisch (also P. „Muttersprachen“). Aber auch für die Großeltern unserer Kinder war das keine große Barriere, sie haben langsam gesprochen, dabei konnte sie auch viel lernen. Anfangs war natürlich oft Englisch unsere Kommunikationssprache, aber mittlerweile schreibt sie sogar Kurznachrichten auf Deutsch und macht ihre Prüfungen in der Schule ganz normal mit den anderen mit. Teilweise spricht P. jetzt auch schon im Dialekt.
Wozu überhaut einen Schüleraustausch?
Verschiedenste Organisationen sind z. B. bei der Organisation eines Schulaufenthalt im Ausland behilflich, z. B. YFU (Youth for Understanding). Frau Tapler arbeitet bei YFU als Gastfamilienkoordinatorin und beschreibt das so: “Es geht darum, internationale und interkulturelle Grenzen zu überwinden dadurch Toleranz zu fördern. Als ehrenamtliche Gastfamilie bei YFU Austria kann man sich mit einer*einem internationale*n Austauschschüler*in eine andere Kultur und frischen Wind in die eigenen vier Wände holen!
Gerade in Zeiten wie diesen ist die Durchführung von Schüleraustausch-Programmen unheimlich wertvoll – um damit Jugendlichen in der Pandemie Hoffnung und Perspektiven zu bieten und in Zeiten eines Kriegs inmitten von Europa zu mehr interkulturellem Verständnis und Toleranz beizutragen. YFU wurde nach dem 2. Weltkrieg mit genau diesen Zielen gegründet und steht auch heute noch genauso dafür ein.
Wer darf ein Kind aufnehmen?
Eine Gastfamilie muss nicht immer “Mutter-Vater-Kind” bedeuten. Auch Paare ohne Kinder, Alleinerziehende, einzelne Personen und natürlich Regenbogenfamilien können Gastfamilie mit YFU werden. Sobald es eine Person gibt, die die Rolle des Elternteils annimmt, nämlich einem jungen Menschen ein echtes Zuhause fern seiner Heimat zu geben, ist es möglich Gastfamilie zu werden. Eine “WG” kann somit zum Beispiel kein Gastkind aufnehmen, aber eine alleinerziehende Person, deren Kinder schon ausgezogen sind, jedenfalls!
In “kleinen Rahmen” kann man “Kurzzeitgastfamilie” werden. Obwohl alle unsere Schüler*innen ein Semester oder ein Schuljahr in Österreich verbringen, kommen oftmals Familien zum Einsatz, die ein paar Tage bis ein paar Monate ein Gastkind aufnehmen. Zum Beispiel bei einem Notfall in der “eigentlichen” Gastfamilie, oder wenn diese auf Urlaub fährt und das Gastkind aus irgendeinem Grund nicht mitkommen kann.
Warum entschieden sich Familien für die Aufnahme eines Gastkindes?
Gabi: Über meine beiden Kinder hab ich davon erfahren. Die haben mich über den Schüler_innnenaustausch bei YFU informiert und es mir interessant gemacht. Ich wollte die Schüler*innen unterstützen, eine Lebenserfahrung im Ausland zu machen und dabei helfen, den Wunsch, ein Austauschjahr zu machen zu realisieren. Mein Interesse lag darin, neue Kulturen und Menschen kennenzulernen. Ich bin dem Wunsch meiner Kinder, dieses Erlebnis zu machen, nachgekommen. Weiters lag in meinem Fokus, Freundschaften fürs Leben zu knüpfen.
Verena: Unsere Familie ist sehr offen für neue Kulturen und wir haben für jeglichen Besuch immer ein offenes Haus. Von YFU habe ich mir Informationen anfangs durch eine Internetrecherche gesucht. Grundsätzlich hätte meine Tochter gerne ein Auslandssemester gemacht, was aber aufgrund ihrer Zusatzausbildung leider nicht möglich war. Daher haben wir das Ganze umgedreht und haben uns für eine Austauschschülerin entschieden, die wir hier aufnehmen wollten.
Wohin sollen sich Interessierte wenden, wenn sie mitmachen möchten?
Es gibt viele Wege für junge Menschen ins Ausland, alle Infos darüber hat die WIENEXTRA-Jugendinfo hier zusammengestellt. Interessierte Gastfamilien können sich an YFU wenden, telefonisch unter +43 1 890 1506. Kostenloses, unverbindliches Infomaterial schicken sie gerne auf Anfrage zu. Die Kurzbeschreibungen der Schüler*innen, für die aktuell Gastfamilien gesucht werden, findet ihr hier.
Auch AFS – Austasuchprogramme für interkulturelles Lernen, sucht immer wieder Gasteltern für 3, 6 oder 10 Monate. Hier erfahrt ihr mehr.
Für einen kürzeren Aufenhalt von ein bis drei Wochen sucht die Landjugend Österreich immer wieder Plätze.
Gemeinsam die Welt gestalten – Besuchsdienst, Kiddycal Mass oder Elternvertreter
Wo und warum sich Eltern noch ehrenamtlich einbringen, könnt ihr hier oder hier nachlesen.
Ihr möchtet euch gemeinsam als Familie einbringen und die Welt mitgestalten? Erfahrt auf unserem Infoblatt Ehrenamtlich aktiv wo ihr das tun könnt.
BriG
Fotos (c) YFU
4 comments on “Gasteltern sein – die weite Welt zuhause erleben”