Mit Kindern über Nationalsozialismus und Holocaust sprechen – Warum ist das wichtig?

Warum mit Kindern über über Nationalsozialismus und Holocaust sprechen? Geplant war das von Bettina Schwarzmayr, GF Stv Pädagogik bei WIENXTRA nicht, aber ihr Wohnort in Wien Leopoldstadt brachte es mit sich. Denn sobald ihr Kind selbstständig unterwegs war, entdeckte es die Stadt mit neugierigen Augen: „Steine der Erinnerung“, „Alltagsskulpturen Mahnmale„, Gedenktafeln – überall Spuren der Vergangenheit.

Mit Kindern über Nationalsozialismus und Holocaust sprechen – Warum ist das wichtig?

Als mein Sohn drei Jahre alt war, genügte ihm noch die einfache Erklärung: „Diese Steine erinnern an verstorbene Menschen.“ Doch ein Jahr später wollte er es genauer wissen. Anfangs war ich unsicher, schließlich ist der Holocaust eines der dunkelsten Kapitel unserer Geschichte. Doch drei Prinzipien waren mir von Anfang an wichtig, ich wollte:

  • sein Interesse nicht ablenken
  • ihn nicht belügen
  • seine Fragen ernst nehmen und altersgerecht beantworten

Wie ich altersgerechte Antworten fand

Über die Jahre musste ich mich immer wieder auf seine Fragen einlassen und passende Antworten finden. Nicht nur unser Alltag, sondern auch aktuelle Ereignisse brachten das Thema immer wieder in unser Leben: Granatenfunde im Augarten, Hakenkreuz-Schmierereien oder als plötzlich „du Hitler“ als Schimpfwort auftauchte.

Ich begann nie von mir aus über den 2. Weltkrieg zu sprechen. Stattdessen folgte ich seinem Interesse: Mal sprachen wir mehrere Tage in Folge darüber, dann gab es monatelange Pausen.

Mit der Zeit fanden wir gemeinsam altersgerechte Bücher, kindgerechte Videos und Materialien. Er durfte entscheiden, wann und wie viel wir darüber sprachen oder recherchierten. Mittlerweile ist er neun und versteht komplexere Sachinhalte, erkennt Zusammenhänge und ist in der Lage, Bezüge zwischen Sachverhalten herzustellen.

Wichtige Prinzipien – So gelingt das Gespräch

Mit Kindern über Nationalsozialismus und Holocaust zu sprechen, ist nicht einfach, aber diese Prinzipien haben mir dabei geholfen:

1. Bezug zur Gegenwart und zur Umgebung

Kinder wollen verstehen, was sie sehen. Mein Sohn stellte Fragen wie:

  • Welche Häuser sind damals schon gestanden?
  • An welchen Gebäuden sind Bombenschäden ersichtlich?
  • Wozu waren die Flaktürme gut?
  • Warum brauchen Angehörige Steine zum Erinnern?
  • Wie sieht jüdisches Leben heute in Wien aus?
  • Welche Feste feiern unsere jüdischen Nachbarn?

Besonders interessiert hat ihn, wie Kinder damals lebten:

  • Sind jüdische Kinder noch zur Schule gegangen?
  • Wie fühlte sich Kindheit im Krieg an?
  • Hätten wir damals mitgemacht?
  • Wie leisteten Menschen Widerstand?

Seine Fragen halfen mir, Geschichte mit der Gegenwart zu verbinden und das Thema greifbarer zu machen.

2. Geschichten von Kindern, Überlebenden und Helfenden

Perspektiven von Kindern sind besonders eindrucksvoll. Wir lasen Bücher von Holocaust-Überlebenden, die ihre Erfahrungen als Kinder aufgeschrieben haben. Auch Geschichten über mutige Menschen, die Verfolgte versteckten oder ihnen halfen. Das war mir wichtig, weil es vermittelt, dass es trotz aller Grausamkeit auch Menschlichkeit gab.

3. Gemeinsames Recherchieren

Oft konnte ich Fragen nicht sofort beantworten. Dann haben wir vereinbart, bis wann ich das recherchiere (Spoiler: zeitnah!). Später, als er schon lesen konnte, haben wir gemeinsam recherchiert. – bevorzugt in Büchern, um verstörende Bilder aus dem Internet zu vermeiden. Das gemeinsame Blättern und Lesen half uns, das Tempo zu drosseln und schwierige Themen behutsam zu verarbeiten.

4. Emotionen zulassen

Furcht, Hass, Wut, Aggressionen, Mitgefühl, Bedauern – all diese Emotionen haben Platz. Wir besprachen das Thema nicht kurz vor dem Schlafengehen, sondern nachmittags beim Spazieren oder im Wohnzimmer. So war genug Raum für Gespräche und Reflexion und Alpträume blieben aus.

Worauf Eltern, die mit Kindern über Nationalsozialismus und Holocaust sprechen, achten sollten

Für schwierige Themen sind ein paar Regeln hilfreich. Wenn ihr euch daran orientiert, dann könnt ihr auch mit euren Kindern über Nationalsozialismus und Holocaust – aber auch über andere schwierige Themen sprechen.

Altersgerechte Annäherung

  • Je jünger das Kind, desto wichtiger ist der Alltagsbezug.
  • Historische Fakten kindgerecht und behutsam vermitteln.
  • Kinder selbst bestimmen lassen, wann und wie viel sie wissen wollen.

Emotionale Sicherheit bieten

  • Kinder dürfen erschrecken oder traurig sein – Eltern begleiten diese Gefühle.
  • Mutige Menschen und Widerstandsgeschichten zeigen, dass es auch Hoffnung gab.

Faktenbasiert, aber behutsam erzählen

  • Keine grausamen Details oder belastende Bilder für jüngere Kinder.
  • Beispiele aus Kinderperspektiven nutzen.

Warum das heute noch wichtig ist

  • Erinnerung hilft, Diskriminierung und Ausgrenzung zu erkennen.
  • Es geht nicht darum, umfassendes geschichtliches Wissen zu vermitteln, sondern sich gemeinsam Gedanken zu machen über Herrschaft, Ausgrenzung, Verfolgung, Indoktrination, Verantwortung und Ähnliches.

Fragen ernst nehmen

  • Kindgerechte, ehrliche Antworten geben und auf Nachfragen eingehen.
  • Gegebenenfalls gemeinsam recherchieren.

Sorgfältige Medienauswahl

  • Altersgerechte Bücher, Filme, Videos und Museen nutzen.
  • Inhalte gemeinsam konsumieren, um Fragen direkt zu besprechen.

Eigene Haltung klären

  • Eltern sollten sich bewusst sein, welche Werte sie vermitteln wollen.
  • Keine Relativierung oder Verharmlosung, aber auch keine Überforderung.

Fazit: Geschichtsvermittlung als gemeinsamer Lernprozess

Kinder haben ein Recht auf Wissen – auch über schwierige Themen. Wenn wir als Eltern behutsam und ehrlich sind, können wir sie begleiten, ohne sie zu überfordern.

Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit hilft ihnen, die Gegenwart zu verstehen und Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen.

Das Gespräch mit Kindern über Nationalsozialismus und Holocaust ist deshalb nicht nur eine Herausforderung – sondern eine wertvolle Chance.

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Bettina Schwarzmayr, GF Stv Pädagogik bei WIENXTRA;
Titelbild (c) Brigitte Vogt, Fotos (c) V und (cc) Pixabay

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