Mehrsprachig Erziehen – Mut zur Unvollständigkeit

Jeder hätte es gern: eine zweite Sprache so gut zu sprechen, dass man in dieser genauso zu Hause ist wie in der Umgebungssprache. Wenn die Eltern unterschiedliche Sprachen sprechen, dann ist die Zweisprachigkeit schon fast ein Muss, manchmal sogar die Mehrsprachigkeit zum Greifen nah. Aber so einfach ist das gar nicht immer.

Was tun, wenn die Mama beim Abendessen einfach nichts versteht, wenn sich der Papa mit dem Sohnemann unterhält? Mitlernen klingt so einfach. Aber neben Job, Hausarbeit und Kinderbetreuung ist Energie so schon manchmal Mangelware. Sich dann auch noch auf eine dritte Sprache einzulassen (Englisch ist mittlerweile im Job Standard), das ist manchmal mehr, als man leisten kann. Das ist der Punkt, an dem Familien manchmal beschließen, es mit der Mehrsprachigkeit sein zu lassen. Geht halt nicht, leider. Auch wenn einem ein bisschen das schlechte Gewissen drückt und die Großeltern enttäuscht sind. Sie hätten so gern mit dem Enkel telefoniert und schicken trotzdem immer wieder Kinderbücher.

Doch wer sagt, dass man aufhören muss? Manchmal reicht es, die Ziele ein bisschen herunter zu setzen – Mut zum Unvollständigen. Denn 2 Sprachen, möglichst noch in Wort und Schrift fließend zu sprechen, das fordert eine Familie, manchmal mehr, als im Alltag möglich ist. Da müssen so viele Gespräche für einen oder mehrere Beteiligte in einer Fremdsprache geführt werden, mit all der Konzentration, die das bedeutet und mit all den notwendigen Übungsmöglichkeiten. Gibt es die nicht, wird nur ab und zu in der anderen Sprache gesprochen, dann geht es zähe vor sich. Und dann gibt es immer wieder die Durststrecken, in denen die Kinder die Sprache verweigern, die Oma doch noch die Nase rümpft, weil´s nicht perfekt genug ist.

Darum solltet ihr euch folgende Fragen stellen:

  1. Wer spricht die Sprache und wie oft wird die Sprache aktiv im Lebensumfeld des Kindes gesprochen? Gibt es Großeltern vor Ort? Ein Freundeskreis, in welchem diese Sprache gesprochen wird?  Oder ist man relativ allein damit und plant, dies mit Kinderbüchern und Spielgruppen auszugleichen, möglichst oft mit Oma zu skypen und Urlaub bei den Großeltern zu machen. Später können sie vielleicht auch am Kulturinstitut die Schriftsprache erlernen. Je mehr die Sprache jetzt schon Teil des Lebensumfeldes ist, desto einfacher ist es.
  2. Wird die Sprache von allen Familienmitgliedern gesprochen oder ist die Paarsprache eine andere? Falls die Paarsprache eine andere ist: möchte der andere Elternteil, die Sprache auch aktiv lernen oder nicht. Sind wir alle Sprachtalente oder tut sich jemand eher schwer. Das bedeutet einen deutlichen Mehraufwand für alle Beteiligten.
  3. Wie sehr sind wir zur Zeit als einzelneR und als Familie gefordert? Fordert der Beruf gerade viel? Gibt es privat Veränderungen, die unsere Energie rauben? Schlafmangel, Doppelbelastung und Work-Life-Balance sind nicht umsonst die Lieblingsschlagworte von Google.
  4. Welches Sprachniveau ist mein Ziel? Wie gut soll mein Kind die Sprache beherrschen? Von “Ein paar Worte mit den Großeltern wechseln” bis zur “Völligen Zwei- oder Mehrsprachigkeit” ist es ein Kontinuum. Jede Situation ist einzigartig. Je nach dem, wie günstig die Umgebungsbedingungen sind (siehe Frage 1 – 3) ist weniger oder mehr möglich. Und auch weniger ist ein Gewinn.
  5. Und nicht vergessen: Welche Ziele hat eigentlich meinE PartnerIn? Denn zwei- oder mehrsprachige Erziehung ist eine ziemliches Projekt. Eine Familienangelegenheit, die besprochen und abgestimmt werden will. Meine Erfahrung ist, dass es dann weniger Enttäuschungen und weniger Abbrüche gibt.

Dass das mit mehreren Sprachen noch komplexer und schwieriger wird, ist schon klar. Kinder können viel aufnehmen und unter günstigen Bedingungen kann das auch für eine Familie fast wie von selbst laufen. Meist ist aber schon Anstrengung dabei, zumindest ab und zu.

Hier könnt ihr noch mehr Beiträge zum Thema Mehrsprachigkeit nachlesen.

BriG
Foto © Brigitte Vogt

 

 

 

 

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