Am 26. 11. wird der Kauf-Nix-Tag gefeiert, bei dem es um Konsumverzicht für einen Tag geht. Da musste ich an Minimalismus denken. Wenn ich bei meinen Freund_innen Minimalismus erwähne, dann stoße ich meist auf Ablehnung.
Dabei wissen alle, die mich kennen, dass da bei mir gar keine Gefahr besteht, dass es einmal zu leer sein könnte. Dazu erfreue ich mich an viel zu vielen Dingen. Aber irgendwie scheint es Abwehr auszulösen, wenn es um Minimalismus, ums Weniger und sich bescheiden geht.
Was mich an Minimalismus stört
Wenn ich an Minimalismus denke, dann sehe ich erst einmal kahle kleine Wohnungen vor meinem inneren Auge. Dann denke ich an meine Bücherberge. Da gibt es Bücher, die mein Leben verändert haben, die meine Weltsicht prägten.
Es gibt Bücher, die mir in schweren Zeiten geholfen haben und solche, die mich an Schönes oder Erhabenes erinnern. Kein Wunder, dass mir da die drei Bücher der “Vorzeige-Minimalist_innen” zu wenig sind! Und ehrlich gesagt geht es mir mit Kleidung ähnlich und besonders mein Bastelkasten ist üppig gefüllt.
Ich mag Klarheit, aber wenn es karg wird, dann ist es mir zu minimal. Ich bin auch für Ordnung zu haben, “alles an seinen Platz” finde ich eine gute und sinnvolle Einstellung. Aber wenn es nichts Schönes mehr geben soll, wenn Mimimalismus so aufgefasst wird, dass da keine Dinge herumstehen, keine Bilder an den Wänden hängen sollen, die nur der Schönheit dienen, dann fehlt mir etwas Wesentliches, das mein Leben bereichert.
Und klar, so wie die vielen Diäten ist das Thema als solches ein Wohlstandsthema. Kurz und gut: Wer leistet sich Reduktion? wie es der Titel einer MAK-Führung so schön auf den Punkt bringt.
Was mich an Minimalismus anzieht
Lustigerweise ist es meine Bequemlichkeit und mein ästhetisches Empfinden, das mich zu Minimalismus hinzieht. Aus einem Gefühl des Überflusses heraus, finde ich es spannend, weniger zu besitzen. Denn weniger zu besitzen, bedeutet, weniger Arbeit und mehr frei verfügbare Zeit zu haben. Und wenn weniger herumsteht, dann kann das Einzelne mehr wirken. Besonders sein, wie der einzelne Baum auf der Wiese.
1. Mehr frei verfügbare Zeit
Das Konzept, dass wir für alles in unserem Umfeld, nicht nur für Menschen sondern auch für Dinge, die wir besitzen, Verantwortung übernehmen, finde ich stimmig. Wenn mein Kind weint, muss ich darauf reagieren. Wenn meine Katze Hunger hat, muss sich sie füttern. Und wenn meine Kaffeemaschine nicht mehr richtig funktioniert, muss ich mich auch darum kümmern. Ich muss abschätzen, ob sich eine Reparatur lohnt, ob ich sie entsorgen oder mir eine neue besorgen will.
So erfordert jeder Gegenstand Wartung und Pflege. Daher ist es nicht nur der Kaufpreis, den wir für Dinge zahlen, sondern auch Lebenszeit, die in deren Pflege, ins Putzen, Reparieren und irgendwann ins Entsorgen investiert werden muss.
2. Mehr Schönes
Für manche Menschen ist es ganz egal, aus welcher Tasse sie am Morgen ihren Tee trinken oder wie der Klopfer aussieht, mit dem sie den Teppich abklopfen. Das ist auch gut so, denn so benötigen wir weniger Zeit, für uns “schöne” Tassen, Besen oder Teppichklopfer zu suchen.
Aber das Leben ist ein Fest, wenn wir uns am Morgen an der Tasse erfreuen können und das Teppichklopfen zu etwas Besonderem wird, weil euch euer Teppichklopfer so gut gefällt, dass ihr ihn am liebsten über dem Wohnzimmertisch aufhängen würdet, um euch an der Handwerkskunst zu erfreuen.
Ästhetische Alltagsgegenstände sind mir eine große Freude im Alltag. Ich vermute, ich bin da von meinen Eltern geprägt, die mich an die Schönheit von Bettwäsche oder die Kunst bei einem schmiedeeisernen Gartengitter heranführten. Dabei geht es auch gar nicht darum, dass diese Alltagsgegenstände teuer oder Designgegenstände sein müssen.
Geschmäcker sind verschieden und damit auch das, was man gerne berührt, spürt, hört oder sieht. Ich mag Handgemachtes, Altes, Buntes, Naturmaterial, erfreu mich aber auch an schönem Design, Klarheit, Beton oder ungewöhnlichen Verbindungen.
Den Drachen zähmen
Manchmal schieße ich übers Ziel. Dann quillt mein Bastelkasten über. Im Bücherregal stapeln sich dann neben ungelesenen Büchern die unfertigen Bastel- und Uniprojekte oder Reparaturgegenstände. Meine Begeisterungsfähigkeit kann zum Drachen werden, der sich in meiner Wohnung ausbreitet und mir den Raum wegnimmt. Da unterstützt es mich, Bücher über Minimalismus zu lesen, die mich motivieren und mir helfen, zu entscheiden, was bleiben soll und was weg kann.
Die Auseinandersetzung mit Minimalismus hat meinen Kleiderschrank und mein Bücherregal am nachhaltigsten verändert. Denn ich habe gemerkt, dass es nur wenige Bücher sind, die ich aufgrund von persönlicher Wichtigkeit in meinem Bücherregal stehen haben muss. Die Stapel an Bücher, die dort aufs Lesen warten, die stressen mich eher, als dass sie mir Freude machen würden. Also hab ich sie deutlich reduziert. Ich lebe in einer Stadt, in der es nicht nur tolle Büchereien gibt sondern auch viele Bücherschränke, sodass die Angst, nichts zum Lesen zu haben einfach unbegründet ist. Mit Kleidung ist es mir ganz ähnlich ergangen.
Ist Minimalismus ein Familientaugliches Konzept?
Ich finde, dass Minimalismus, dieses Weniger statt immer Mehr besitzen, ein durchaus familientaugliches Konzept ist.
3. Kinder lernen ihre Bedürfnisse einschätzen, zu priorisieren und sich zu begrenzen
In einer Zeit zu leben, in der so viele Waren zugänglich sind und vielfach beworben werden, müssen wir auswählen, priorisieren und begrenzen. Gemessen an der durchschnittlichen Wohnfläche in Wien, lebte ich mit meinen Kindern in einer sehr kleinen Wohnung. Das hatte den Vorteil, dass ich immer die Sachen begrenzen musste. Daher sind meine Kinder mit Ausmisten und dem Aussortieren von Spielsachen oder Kleidung aufgewachsen. Auf diese Weise lernten sie sich selber kennen und ihre Bedürfnisse realistisch einzuschätzen.
Diese Auswahl ist eine herrliche Sache, da dann die Spiele oder Kinderbücher auch wirklich in Verwendung sind und man nicht in die Gefahr kommt, zu horten oder sich von Lockkäufen verführen zu lassen. Viele Minimalisten empfehlen die eins rein eins raus Methode. Wenn ein neues Spiel gekauft wird, dann kommt dafür ein altes weg. Dies begrenzt die Dinge zumindest auf dem aktuellen Stand und stoppt die Vermehrung.
4. Aufräumen wird leichter
Wenn weniger Spielsachen vorhanden sind, dann wird das Aufräumen leichter. Besonders, wenn die Regel eingehalten wird, dass alle gleichartigen Dinge an einen Platz gehören, der fix bestimmt wird. Also z. B. alle Kuscheltiere zusammen in eine Kiste geben, alle Brettspiele in ein Regal und so weiter. Jüngeren Kindern, die noch nicht lesen können, helfen Fotos dabei, die richtige Kiste zu finden.
Sich anzugewöhnen, dass ein Spiel erst weggeräumt werden muss, bevor ein neues begonnen wird, ist manchmal nicht so einfach, besonders wenn verschiedene Altersgruppen miteinander spielen. Aber es hilft sehr gegen das Chaos und das ständige Multitasking, ganz besonders, wenn im Wohnzimmer gespielt wird.
5. Mehr Raum, gemeinsame Zeit und Ökosensibilität
Wenn wir als Eltern bewusst konsumieren und unsere Wohnungen nicht vollgestopfen, dann bleibt mehr Raum. Es muss ja nicht gleich spielzeugfrei sein, aber sich auf´s Wesentliche zu besinnen, gibt Raum für kreative Verwendung von Dingen. Viele die sich mit bewusstem Konsum beschäftigen, interessieren sich auch für Nachhaltigkeit. Die Auseinandersetzung damit fördert Ökosensibilität. So werden unsere Kinder auf ein Leben in einer Postwachstumsgesellschaft vorbereitet wo Verteilungsgerechtigkeit und Nachhaltigkeit eine viel wichtigere Rolle spielen werden.
Wie wenig soll minimal sein
Wenn ich meine Habseligkeiten – was für ein schönes Wort in diesem Zusammenhang – durchgehe, dann weiß ich, dass es da noch Möglichkeiten zum Aussortieren und Raum für mehr Klarheit, Vereinfachung und Minimalismus gibt. Und ich weiß, dass ich ganz bestimmt nicht wie Fumio Sasaki leben möchte. Aber sein Buch “Das kann doch weg!” mit seinen 55 Tipps, wie man sich von Dingen verabschiedet, fand ich wirklich inspirierend. So gesehen ist Minimalismus kein Endprodukt sondern ein Prozess und kann bestimmt für viele ein spannender Weg werden.
Hier findet ihr noch mehr Anregungen und Buchtipps zum Thema Zeit statt Zeug, weitere Bücher stellt Susanne von Privatliteratur auf ihrem Blog vor.
BriG
Fotos (c) Die Fotos stellen Kunstwerke aus Papier von Beatrix Mapalagama dar und wurden in der Werkstatt der Papierwespe von Brigitte Vogt aufgenommen.
Sehr bewusster Artikel, danke für die Gedanken!
Sehr gerne – und vielen Dank für den Kommentar! 🙂